VIII. Kapitel
Wettstreit der Tugenden, An Sr. Königl. Majest. in Pohlen und Churfurstl. Durchl. zu Sachsen, Friedrich Augusts, hohem Geburtstage.

[792] 1728.


In einem Gedichte entworfen, welches in der deutschen Gesellschaft zu Leipzig den ersten Preis der Poesie erhalten hat.


So ist es denn umsonst, daß ich bisher gezagt,

Wenn mancher sich zu frech an Pohlens Thron gewagt:

Umsonst, daß Brust und Arm und Schenkel mir gebebet;

Wenn andern Sachsens Held den schwachen Blick belebet;

Umsonst, daß Mund und Hand bisher, aus Blödigkeit,

Des deutschen Herkuls Lob und Lorber nicht entweiht,

Und seiner Thaten Preis den Dichtern aufgetragen,

Die Phöbus selbst erhitzt, ein großes Werk zu wagen.


Jetzt reizet mich ein Zug zu größrer Kühnheit an,

Ein Zug, den Scheu und Furcht nicht ferner dämpfen kann.

Ihr Musen scheint ja selbst den Wiederstand zu schwächen,

Dem blöden Geiste Kraft und Beystand zu versprechen.

Wohlan! ich folge dann: Regiert mir Mund und Kiel,

Und stimmt mit eigner Hand mein rauhes Seytenspiel;

Damit der Pohlen Haupt, der Schmuck der deutschen Erde,

Nicht schlecht, nicht ungeschickt, nicht matt besungen werde.[793]

Hier bin ich, führt mich an! laßt mich den König sehn!

Ich fühle schon die Luft um Haar und Schultern wehn:

Kein Adler schießt so schnell, wenn die geschwungnen Flügel

Des leichten Körpers Flug den Spitzen aller Hügel,

Ja dem Gesicht entziehn; und ihn dahin erhöhn,

Allwo zur Sommerzeit die weissen Wolken stehn;

Als mich Calliope ihr nachzufolgen zwinget,

Und an den fetten Rand der breiten Elbe bringet.

Ich sehe Stadt und Land, und Wasser unter mir:

Da wohnt ein sichres Volk; der Landmann ackert hier;

Dort gehn zu tausenden die Triften in den Auen;

Hier läßt der Winzer sich auf steilen Bergen schauen;

Der Elbstrom schleichet dort durch Felsen, Wald und Thal,

Da schwimmt des Schuppenvolks unendlich große Zahl;

Hier prangt bey Fels und Schloß die lange Meißnerbrücke;

Bis ich von ferne schon die Residenz erblicke.


Ein Schwindel rührt mein Haupt: Kein Wunder! Dresdens Pracht

Bezaubert Blick und Sinn, hat mich entzückt gemacht.

Ich sehe Thor und Wall und Graben und Basteyen,

Der Brücke Bogenlast, die Wunder an Gebäuen,

Des Zwingers Kostbarkeit, des Landesvaters Sitz,

Ein weites Waffenhaus voll Pulver und Geschütz,

Soldaten von der Art, die Troja dort verbrannten,

Und manchen tapfern Trupp von Rittern und Trabanten.


Hier, lehrt die Muse mich, hier wohnet Sachsens Held,

Den selbst die Vorsicht ihm zum Schutzgott vorgestellt.

Sein Bruder hat vor ihm die ganze Chur besessen,

Den zwar das treue Land so wenig wird vergessen;

Als den der sie gezeugt: Doch dessen frühes Grab

Dem Volke dieses Haupt zum weisen Führer gab;

Das nicht allein ein Preis im deutschen Fürstenorden,

Das auch Sarmatiens erwählter König worden.[794]

So spricht sie, und ergreift mich eifrig bey der Hand,

Und macht mir Volk und Stadt und Straßen wohlbekannt.

Sie führt mich hin und her durch die beglückten Gassen,

Und lenket meinen Blick bald dieß, bald das zu fassen.

Da steht, dieß ist ihr Wort, der fürstliche Pallast,

Des Grafen, den du längst nebst mir bewundert hast;

Der theure Flemming wars, den man durch alles Loben,

So groß war sein Verdienst! doch nie genug erhoben.


Dort wohnt Graf Wackerbart. Dieß Haus gab ihm August,

Auf den, vor kurzer Zeit erlittnen Hauptverlust,

Denn als ein hohes Haupt, ein Herr von vielen Staaten,

Ein klug und tapfrer Held, ein Muster der Soldaten,

Sich jüngst, als Dresdens Gast, in seiner Wohnung fand;

Gerieth sie unverhofft bey später Nacht in Brand:

So daß die schnelle Glut, die Stein und Kalk verzehrte,

Holz, Mauren, Dach und Grund in Graus und Asche kehrte.

Sie schweigt; wir gehen fort, und bleiben wieder stehn,

Da, spricht sie, wohnt der Graf, der sächsische Mecän,

Apollons Freund und Schutz und meiner Schwestern Freude,

Ja dessen Dichterkiel ich selber oft beneide.

Er selber ist gelehrt und liebt Gelehrsamkeit,

Und ist im Cabinet ein Nestor seiner Zeit,

Des Landes Lust und Ruhm. Ich darf ihn gar nicht nennen,

Ein jeder wird ihn schon an diesem Abriß kennen.


Wir gehn, indem sie spricht, allmählich weiter fort:

Doch ihre Sorgfalt zeigt mir immer Stell und Ort,

Wo jeder Große wohnt, der mit am Ruder sitzet,

Dem weisen Fürsten dient, dem Vaterlande nützet.

Da nennt, da rühmt sie mir der größten Räthe Zahl.

Prinz Adolph, Watzdorf, Fries und der von Löwendahl

Zech, Seebach, Leipziger, von Bünau, sammt dem Sohne,

Die, spricht sie, merk es wohl! sind Seulen von dem Throne.[795]

Sie eilt, indem die Zeit ganz unvermerkt verfloß,

Und leitet mich darauf ins königliche Schloß.

Hier, heißt es, könnt ich dir des Fürsten Ställe weisen,

Und der Gewölber Pracht und Kostbarkeiten preisen;

Allein die Zeit verbeuts: Du sollst was größers sehn,

Ein seltner Wettstreit wird den Augenblick geschehn.

Die Zahl der Tugenden, die Sachsens Haupt beleben,

Wird vor der Weisheit Thron nach Sieg und Kleinod streben.


Sogleich eröffnet sich des Zimmers hohes Thor,

Ich sehe nichts, als Licht und Pracht und Glanz davor.

Des Bodens Marmel gleißt, die hellen Spiegelwände

Entziehn dem starren Blick des Saals wahrhaftes Ende.

Das Oel der Ampeln ist in Silber angeflammt,

Des Thrones Stuffen deckt ein reichgestickter Sammt,

Er selbst ist Helfenbein, und prangt mit theuren Steinen;

Die Wahrheit soll darauf als Richterinn erscheinen.


Sie kömmt und nimmt ihn ein. Ein heller Sternenkranz

Umzirkt die heitre Stirn mit Schimmer, Blitz und Glanz,

Den Leib deckt ein Gewand von himmelblauer Seide,

Ein purpurfarbner Streif umgiebt den Saum vom Kleide,

Der Gürtel gleicht dem Schnee, die Rechte trägt den Stab,

Den das Verhängniß ihr zum Eigenthume gab.

Er ist ein feines Gold, doch streut an dessen Spitze

Ein Herz, das Augen hat, ringsum die schärfsten Blitze.


Bey solcher Majestät vertieft das Auge sich,

Vergißt man seiner selbst! Was rührt, was blendet mich?

So schön sah Paris nicht die streitenden Göttinnen,

Vor seinem Thron bemüht, den Apfel zu gewinnen;

So angenehm und hell zeigt sich Aurora nicht,

Wenn Phöbus aus dem Schooß der blauen Thetis bricht:

Als hier die Tugenden ins weite Zimmer kamen,

Und um der Weisheit Thron in Eil die Plätze nahmen.[796]

Wir streiten, war ihr Wort, um Friedrich Augusts Geist.

O Weisheit! um den Held, den Ost und Westen preist.

Wir alle schmücken ihn mit ungemeinen Gaben,

Und jede wünscht ihn ganz zum Eigenthum zu haben.

Er selber sieht und weis, was uns so zwistig macht;

Doch läßt er unsern Geist, vielleicht aus Vorbedacht,

In stetem Zweifel stehn. Ach Göttinn, die wir ehren,

Laß du von deinem Thron den sichern Ausspruch hören!


Der Sieg gebühret mir! So rief die Stärke gleich:

August ist sonderlich an meinen Gaben reich.

In früher Jugend schon wußt ich die strengen Sehnen

Des männlichstarken Arms zum Kämpfen zu gewöhnen.

Er ist ein Herkules, der auch die Riesen zwingt,

Und dessen strenge Faust, wenn ihr ein Hieb gelingt,

Durch Stahl und Eisen fährt, durch Helm und Küraß eilet,

Ja oft auf einen Streich, so Mann als Roß, zertheilet.


Europa weis dieß längst, und ist erstaunensvoll,

Und weis fast nicht, mit wem es ihn vergleichen soll.

Der Säbel Scanderbegs darf seine Faust nicht füllen,

Hier taugt ein jedes Schwerdt, um seiner Kräfte willen.

Er zückt, er hebt es kaum; so weicht, so flieht der Feind:

Weil selbst der Klinge Blitz ihm unerträglich scheint.

Und freylich zeigt sie schon, durch ihr geschwungnes Blinken,

Sie werde wie ein Keil im Donner niedersinken.


Mit nichten! rief hierauf die Unerschrockenheit,

Die Stärke thut nicht viel, gebrichts an Tapferkeit,

Ein unverzagter Held siegt auch mit schwachen Händen,

Wenn Riesen ohne Herz ihr feiges Blut verschwenden.

August hat Löwenkraft; allein auch Löwenmuth.

Sein starker Geist erhitzt der vollen Adern Blut,

Und strengt die Nerven an, daß sie bey kühnem Wagen,

Gedoppelt steif und fest, auch doppelt härter schlagen.[797]

Die Proben sind bekannt. Der wilde Muselmann

Gedenkt noch an die Schlacht, die Leopold gewann;

Weil Deutschlands Helden ihm und seinen Barbarschaaren

An Kräften, Recht und Glück weit überlegen waren.

Was da August gethan, und wie sein kühner Geist,

Der, wo er wirken kann, fast lauter Wunder weist,

Auch anderwärts gesiegt; das wird die Nachwelt lesen,

Und mit Verwundern sehn, wie groß sein Muth gewesen!


Die Großmuth störte sie, und winkte mit der Hand,

Ganz recht! das war ihr Wort, dieß ist der Welt bekannt:

Allein wer kennt auch nicht sein königlich Gemüthe,

Und die mit Huld und Ernst gemischte Vatergüte?

Im Felde schrecklich seyn, ist auch Tyrannen leicht:

Doch wenn der Frevler selbst die Waffen überreicht;

Und flehend Gnade sucht, alsdann die Schuld vergeben,

Ist mehr, als Feind, Gefahr und Unglück überstreben.


Und doch kann dieß August. Empörung, Hochverrath,

Und was die Bosheit sonst für manche Frevelthat

Durch List und Macht verübt; wiewohl ihrs nie gelungen:

Das alles hat er oft durch Gütigkeit bezwungen.

Der Aufruhr schämt sich noch, wenn er verwirrt bedenkt,

Wie gnädig ihm der Held den starren Hals geschenkt,

Den er so frech verwirkt. Und dieser Großmuth Proben

Sind zweifelsfrey weit mehr, als Tapferkeit zu loben.


Sie schwieg und wich zurück, die Gnade trat hervor:

O Weisheit! gönne doch auch mir ein offnes Ohr,

So fieng ihr Vortrag an, und laß die hellen Sinnen

Durch meinen Vorzug bloß bewegen und gewinnen.

Das Recht erfodert es: Des Helden Gütigkeit,

Darüber Volk und Land und Bürger sich erfreut,

Die Freund und Fremdling lobt, die auch sein Feind bekennet,

Verdient es, daß man sie die Fürstentugend nennet.[798]

Der Titus unsrer Zeit, der Unterthanen Lust,

Verbirgt ein Mutterherz in seiner Vaterbrust.

Der Jammer, den er sieht, erweckt ihm ein Erbarmen:

Drum wo er sich nur zeigt, da freuen sich die Armen.

Wo hat man je gehört, daß ihm die Noth gefiel?

Sein Land beglückt zu sehn, das ist sein Zweck und Ziel;

Sein Volk vergnügt zu sehn, da pflegt er nichts zu sparen,

Wie Sachsen dankbar zeugt, und Polen oft erfahren.


Gleich rief die Mildigkeit, dieß Lob gehört für mich,

Das Wohlthun ist bey ihm weit mehr als väterlich,

Er füllt die Kasten nicht, er füllt der Bürger Hände,

Als wenn er selbst die Last der Dürftigkeit empfände.

Der ist verhaßt bey ihm, der Geiz und Wucher übt,

Er zählt nur was er nimmt, nicht was er schenkt und giebt,

Und wäre nie so froh, als wenn ihm Gott vergönnte,

Daß er stets gnädig seyn, stets Wohlthat üben könnte.


Wo bleibt noch, fuhr sie fort, die königliche Pracht,

Die seinen Hof und Staat so unvergleichlich macht?

Die Fremden dringen sich zu seinen Lustbarkeiten,

Wo Ueberfluß und Lust und Großmuth ihn begleiten.

Wer nur ein Fastnachtspiel, wie er es angestellt,

Gewölb und Zimmer sieht, das seinen Schatz enthält,

Und endlich Japans Stolz im Porcellan erblicket,

Der wird ohn Unterlaß bezaubert und entzücket.


Ja freylich! rief hierauf, die Liebe zu der Kunst:

Die Meister rühmen sich der königlichen Gunst:

Die Baukunst zeiget sich in stolzen Lustgebäuden,

Die Gärten kann man kaum von Welschland unterscheiden;

Der Marmor regt sich fast in Seulen mancher Art,

Und wo des Malers Hand nicht Müh und Fleiß gespart,

Da sollte, wer es sieht, fast tausend Eide schweren,

Daß alle Bilder hier beseelte Körper wären.[799]

Die Ton- und Singekunst nennt Dresden ihren Site,

Apollo heißt es gar die Residenz von Witz,

Weil König, Hof und Stadt die Kunst der Dichter lieben,

Weil sich die Edlen selbst auf reinen Seyten üben

Der Opern Zauberwerk zwingt Augen, Ohr und Herz,

Des Lustspiels nützlicher und geisterfüllter Scherz,

Der Trauerspiele Pracht, Verwundern, Furcht und Zagen,

Wird von Augusts Geschmack, vom Flor der Künste sagen.


Nun trat die Billigkeit mit Zuversicht herbey,

Und sprach: Man denke nicht, daß ich die letzte sey;

O nein! das strengste Recht, die Seule grosser Staaten,

Erhebt auch unsern Held vor andern Potentaten.

Asträa sitzt in ihm auf Pohlens Königsthron,

Er ist der Unschuld Schutz, der Tugend Schild und Lohn;

Kein Ansehn der Person kann hier den Richter blenden,

Er trägt ein blitzend Schwerdt in den gerechten Händen


Dieß zeigt der Festungsbau, wo manche Bosheit frohnt,

Dieß zeiget Waldheims Zucht, wo man den Frevel lohnt,

Dieß zeigt die grosse Zahl von heiligen Gesetzen,

Der Laster strenger Zaum, der Frömmigkeit Ergetzen.

Wie hat sein starker Arm das Ungeheur gedämpft,

Die Rachgier, die so gern mit Bley und Eisen kämpft?

Der Zweykampf ist verbannt, man hört von keinem Morden,

Weil Sachsen unter ihm Europens Freystadt worden.


Der Friede nahte sich in lieblicher Gestalt,

Und rief: Das Land Augusts ist stets mein Aufenthalt!

Der Name Friederichs, den man für ihn erkohren,

Hat niemals weniger als hier sein Recht verlohren.

Die Ruhe krönt das Volk, beglückt und ziert den Staat,

Hier presst der Bürger Blut kein wütender Soldat:

Die Palmen sprossen stets bey Sachsens Rautenzweigen,

Drum muß Bellona hier von Wuth und Flammen schweigen.[800]

Hier wohnt der Unterthan in voller Sicherheit,

Ein ehrenvoller Greis vergißt der alten Zeit,

Da Deutschland überall, in dreyßig rauhen Jahren,

Die Wuth des harten Mars ohn Unterlaß erfahren.

Der Landmann baut sein Feld, der Winzer seinen Berg,

Der Künstler treibt beglückt und schließt sein Tagewerk,

Die Jugend liebt und lacht, und scherzet mit Vergnügen,

Und sucht der Nymphen Herz nach Wunsche zu besiegen.


Die Sorgfalt für das Erzt in mancher Silbergruft

Erschien zu allerletzt aus ihrer finstern Kluft.

Ein schwarzer Berghabit ließ ihren Zweck erkennen,

Sie sprach: Erlaubt auch mir für Ruhmbegier zu brennen.

Augustus liebt auch mich, er sorget für den Schacht,

Dadurch er Sachsen schmückt und jährlich reicher macht,

Wie mancher Marmorbruch, nützt allbereit im Bauen,

Den seiner Aufsicht Wink verordnet anzuhauen?


So manche Wand sich nur in holen Bergen zeigt,

So manche Leiter man in tiefe Gründe steigt,

So mancher Knappe schon in Freyberg eingefahren,

So wenig hat man hier des Königs Ruhm zu sparen.

Kein Wunder! macht ihn doch der Steiger froher Mund

In dunklen Schachten gar den Erdengeistern kund;

Die, wenn sie von Augusts durchlauchten Namen hören,

Der Arbeitsleute Fleiß durch kein Gepolter stören.


Hierauf erschien ein Weib, in reichgestickter Tracht,

Und hatte sich daher so spät herzu gemacht.

Ihr gieng der Ueberfluß von Sachsenland zur Seiten,

Zur Rechten trug Mercur die grösten Kostbarkeiten.

Sie redete nicht viel, doch that sie destomehr:

Augustus, war ihr Wort, bereichert mich so sehr,

Weil mich sein Churschwerdt schützt, so kann ich mehr erwerben,

Als Kayser Indiens von ihren Vätern erben.[801]

Wiewohl mir keine See beladne Schiffe bringt,

Wenn Fluth und Ebbe gleich nicht in die Pleisse dringt,

Obgleich kein tiefer Strom das Meißnerland bewässert;

Hat diesen Mangel doch der Bürger Fleiß verbessert.

Die Europäerwelt versammlet sich bey mir,

Und Leipzig wird dadurch der Handelsstädte Zier.

So dünkt mich, rühmte sie die drey beruffnen Messen,

Doch was es alles war, ist allbereit vergessen.


Die Weisheit regte schon den anmuthsvollen Mund;

Die Muse störte sie, die mir zur Seiten stund.

Ich preise, hub sie an, den Schutz der Wissenschaften,

Die nirgends glücklicher als hier in Sachsen haften.

Ist Philurene nicht Germaniens Athen?

Wo darf sich eine Stadt in Deutschland unterstehn,

Mir ihr an Geist und Witz, Gelehrsamkeit und Schriften,

Den Wettstreit einzugehn und sich ein Lob zu stiften?


Vergebens! Leipzig ist der Künste Vaterland,

Und Deutschland hat es längst so wohl als ich erkannt:

Augustus aber läßt die Musen an den Linden,

Durch Gnade, Huld und Schutz, erwünschtes Wachsthum finden.

Es eilt, wer Weisheit liebt, in seiner Mauren Schooß,

O Göttinn! rede selbst, dein eignes Glück ist groß:

Wenn du den König lobst, so kann ich dir nicht gleichen,

Trägst du den Preis davon, so will ich freudig weichen.


Nein! schallte der Entschluß, mit einem Silberton,

Nein! fiel das holde Wort von dem erhabnen Thron.

So viel ich selber Theil an diesem Helden habe,

So herzlich ich mich längst an seiner Weisheit labe;

So schwer wird hier der Schluß in eurem Streite seyn:

Ihr alle habt gesiegt, der Preis ist allgemein;

Besitzt ihn denn zugleich: Ich selber will nicht säumen,

Ihm diesen Fürstensitz mit Freuden einzuräumen.[802]

Sie wich; man öffnete den prachterfüllten Saal,

August erschien daselbst mit seiner Räthe Zahl.

Kann doch der volle Mond in seinen blauen Zimmern,

Mit Sternen ganz umringt, unmöglich heller schimmern,

Als hier sein Aufzug schien. Die Weisheit trat hinzu,

Und sprach: Der Kampf ist aus; Held, unser Preis bist du.

Besteige diesen Thron, mein Zepter sey dir eigen,

Wir alle werden uns vor diesen Staffeln beugen.


Du hast genug gesehn, sprach meine Führerinn,

Sie rückte mich davon, und flammte meinen Sinn

Mit ihren Trieben an, was diesen Tag geschehen,

Was ich allda gehört, was ich allda gesehen,

Nach Würden zu erhöhn. Ihr Wollen war ein Muß:

Drum zeigt dieß ganze Blatt den schnellvollzognen Schluß.

O winkte mir August! wie eifrig wollt ich singen,

Und durch sein Lob allein die Sterblichkeit bezwingen.


Hamartigenia,
Oder:
Lehrgedichte vom Ursprunge des Bösen.

Wir Menschen sind verderbt: Der Satz ist offenbar.

Allein wer macht uns wohl der Bosheit Quellen klar?

Wie kömmt es, fragt man oft, daß unser Thun und Lassen

Dem Bösen günstig ist, das Gute pflegt zu hassen?

Wer macht die Sterblichen zur Tugend ungeschickt?

Wer hat das Herz verkehrt, den blöden Sinn verrückt,

Halb blind, halb taub gemacht? O laßt uns dieß ergründen,

Und aller Laster Brunn in wenig Reime binden!


Was ist Verstand und Witz? Ein dickumnebelt Licht,

Das kaum zwey Spannen weit durch Dampf und Irrthum bricht.

Vermag sein schwacher Stral gleich etwas zu erkennen;[803]

So ist sein Wissen doch fast nichts von dem zu nennen,

Was ihm verborgen bleibt. So gar die kleine Zahl

Der Dinge, so er weis, verstattet nicht einmal

Sie völlig einzusehn und deutlich zu erblicken.

Die Wahrheit scheint ihr Licht mit Finsterniß zu schmücken,

Und sieht wie Falschheit aus. Allein es scheinet nur:

Die Wahrheit hat nicht Schuld; der Mensch verläßt die Spur.

Es fehlt ihm an Vernunft, das Wahre zu entscheiden,

Dem Irrthum zu entgehn, das Böse zu vermeiden.

Er kehrt fast alles um. Ein Würfel heißt ein Ey,

Ein Riese wird ein Zwerg. Verkehrte Phantasey!

Die uns den Geist verrückt; das Herz zur Thorheit zwinget,

Und in die Sclaverey der ärgsten Laster bringet.


Das macht, daß unser Geist in einer Hütten wohnt,

Wo lautet Unvernunft und Lust und Trägheit thront.

Der Körper ist das Haus, das lauter Zunder heget,

Dadurch der Lüste Glut in volle Flammen schläget.

Die Sinne stellen nie den Kern der Dinge vor,

Ein äusserlicher Schein füllt Auge, Mund und Ohr:

Kurz, alles schmücket sich durch ein verstelltes Gleissen.

Der Geist ist viel zu schwach die Larven abzureissen,

Die ihm ein Fallstrick sind. So bald ein Afterlicht

Mit trüben Stralen spielt, und nur das Auge spricht:

Dort glänzt ein Morgenstern! Gleich läßt er sich bewegen,

Und eilt mit Herzenslust dem blassen Schein entgegen,

Der ihn doch nur verführt. Hier lobt der Mund den Wein:

Sogleich stürzt ihn der Arm mit vollen Bechern ein.

Der schwache Geist verspielt, wenn Feinde mit ihm kämpfen,

Die schlau und unvermerkt ihm Muth und Kräfte dämpfen.


Was Wunder ist es auch! Und wie giengs anders an,

Da niemand als ein Greis gebohren werden kan.

Ein Kind erblickt das Licht, ein Grundriß von dem Wesen,[804]

Daß Gott dem Erdenball zum Bürger auserlesen;

Ein zartes schwaches Thier, dem alles das gebricht,

Was andern Thieren nützt. Es hört und sieht fast nicht,

Ihm fehlt Vernunft und Witz, die Dinge zu erkennen,

Es unterscheidet nichts und weis noch nichts zu nennen.

Sein ungebrauchter Geist ist wie ein leeres Blatt,

Darauf kein Schreiber noch den Kiel geführet hat.

Es nimmt den Eindruck an von allem, was es spüret,

Und was von aussen her ein sinnlich Werkzeug rühret.

Der Sachen erstes Bild betäubet sein Gemüht,

Das nun zum erstenmal dergleichen hört und sieht:

Es steht erstaunt und starr und pflegt mit langem Schweigen

Den Eindruck, den es fühlt, verwundernd anzuzeigen.

Wie sonst das Auge starrt, das sich bey später Nacht

Aus dicker Finsterniß in helle Zimmer macht,

Und steif in Fackeln sieht, die allenthalben brennen;

Es stockt in seiner Kraft, und kann fast nichts erkennen.


Allmählich stärket sich der Seelen Fähigkeit;

Die Sinne wirken stets, die rege Lüsternheit

Häuft immer Bild auf Bild: So keimen die Gedanken

Und der noch schmale Witz erweitert seine Schranken.

Die Zunge lallt erst nur, dann spricht sie allgemach

Der meisten Wörter Laut mit halben Sylben nach:

Und endlich lernt der Mund, nach oft mislungnem Wagen,

Was Sinn und Lust begehrt, mit rauhen Tönen sagen.

So schlecht hebt der Verstand sich erst zu zeigen an!

Bis die Erfahrung wächst, dadurch sich auch der Wahn

Von tausend Dingen stärkt; den Beyspiel und Empfinden

Zu mancher bösen That noch heftiger entzünden.

Ein junger Baum wächst krumm, wenn ihn kein Gärtner zieht:

Und wenn ein Kind sonst nichts als Thorheit hört und sieht,

Die Zucht aus Schlägen fühlt, und von Vernunft nichts höret,

Als daß ihr hartes Wort die Lust der Sinne störet;

Wenn es von Tugend auch nichts anders weis und kennt,[805]

Als daß man sie sehr schwer und fast unmöglich nennt:

Wie kann es anders seyn, als daß zu schnöden Werken

Durch die Gewohnheit selbst sich auch die Triebe stärken.


Daher stammt nun die Brut des bösen Willens ab.

Wer sonst im Dunkeln tappt, fällt leichtlich in ein Grab,

Und wo Verstand und Witz das Böse nützlich heissen,

Wo Herz und Sinne sich nach falschen Gütern reissen,

Durchbricht der Lüste Strom der Lebensregeln Damm,

Beschwemmt die matte Brust mit faulem Sündenschlamm,

Erhitzet Blut und Geist, verwöhnet Leib und Glieder,

Dann legt auch die Vernunft den schwachen Zepter nieder.


Also, wie mich bedünkt, ist Adams Fall geschehn.

Er hatte zwar in Gott sein höchstes Gut gesehn;

Vielleicht auch wohl erkannt, man müsse Gott verehren,

Und seine Wohlfahrt nicht durch Frevelthaten stören:

Doch seht, sein Geist verliert, aus Unvollkommenheit,

Den wohlgefaßten Satz mit aller Deutlichkeit.

Wie eifrig Gott gesucht sein Herze zu gewinnen,

Das alles dämpft in ihm der Eindruck reger Sinnen.

Und endlich fällt er gar. Warum? Ein schlauer Feind,

Den Eva noch nicht kennt und nicht zu fürchten scheint,

Umhüllt sich mit dem Glanz der schönen Seraphinen,

Der ihren Augen längst bewundernswerth geschienen.

Die Schlange preiset ihr den süssen Apfel an,

Es heißt: Geneuß die Frucht, die göttlich machen kann.

So wird der Witz betäubt, der Sinn ist eingenommen,

Dem Geiste dünkt es gut, dem Höchsten gleich zu kommen:

Wer handelt wohl so klug, als der sein Bestes sucht?

Nun streckt der Arm sich hin, er bricht und ißt die Frucht,

Die Frucht, von deren Gift die Väter sammt den Erben,

Auf Gottes Richterspruch an Leib und Seele sterben.


So ists, gerechter Gott! doch deine Heiligkeit

Bleibt hier und überall von aller Schuld befreyt.[806]

War nicht die ganze Welt vollkommen gut erschaffen?

Sie wars; besaß ein Hirsch gleich nicht den Witz der Affen,

War schon des Monden Licht kein heller Sonnenschein,

Und konnte gleich der Mensch kein Gott, kein Engel seyn.

Ein jedes Ding behielt sein unverändert Wesen,

Und als es wirklich ward, so hatt es Gott erlesen,

Weil seine Weisheit es in diesem Bau der Welt,

Den er sich ausgedacht, zu schaffen fest gestellt.

Was der enthält, ist gut, und selbst von Gott beschlossen,

Es ist aus freyer Wahl des höchsten Guts geflossen.

Ich weis wohl, manches Ding sieht schlecht und wandelbar,

Verwirrt und elend aus; doch blieb es, wie es war.

Die Geyer kehrte Gott in keine Turteltauben,

Der Wolf ward nicht ein Schaaf, die Bären gehn noch rauben,

Ein Rabe stiehlt. Warum? Es gieng nicht anders an.

Wo ist nun ein Gesetz, das Gott verbinden kann,

(Gewiß man muß allhier der frommen Einfalt lachen)

Den Adam nicht zum Mann, ach nein, zum Gott zu machen?


An dir, an dir, o Mensch, liegt deines Unglücks Schuld,

Indessen trägt dich doch dein Schöpfer mit Geduld.

Wir wissen von Natur uns selber nicht zu rathen,

Wir brechen sein Gesetz durch tausend Uebelthaten;

Verstand und Geist ist blind und sieht sein bestes nicht:

Und obgleich die Vernunft und ihr geschwächtes Licht

In Griechenland und Rom durch schöne Wissenschaften

Den Weg zur Wohlfahrt wies; so wollt es doch nicht haften.

Die Lüste sind ein Roß, das niemand zähmen kann.

Indessen nimmt sich Gott der Menschenkinder an,

Sein Sohn wird unser Heil, vollbringt des Vaters Willen,

Er lehrt mit Wort und Werk des Höchsten Wort erfüllen,

Erleuchtet den Verstand und tilgt die Bosheit aus,

Verspricht den Seinen gar ein ewig Freudenhaus,

Und will es aller Welt zum Gnadenlohne schenken,

Dafern sie sich nur läßt zu seiner Liebe lenken.[807]

Dein heilbegieriger, dein väterlicher Sinn,

O Schöpfer dieser Welt! gieng freylich wohl dahin,

Uns alle von der Macht des Todes zu erlösen:

Allein des Menschen Herz klebt gar zu sehr am Bösen.

Dein Vorsatz war zu schwer, und unsre Pest zu groß.

Wer macht uns wohl so gleich von allen Lastern los?

Wir treiben mit Gewalt den guten Geist zurücke,

Und wehrens, daß er uns durch keine Tugend schmücke.

Das ist die Art der Welt. Doch deine Freundlichkeit

Verschont, was sie verschmäht, und giebt dem Frevler Zeit.

Sie dämpft des Fleisches Wuth, so frech sie sich empöret,

Und wenn sie gleich nicht weicht, ja sich wohl gar vermehret,

So hebest du doch oft den stärksten Wiederstand,

Und biethest fast mit Zwang auch einem Saul die Hand,

Der sie doch von sich stieß. Was will man ferner sagen?

Denkt unser Fürwitz dich als grausam anzuklagen,

Daß, da du voller Macht und voller Güte bist,

Dir doch dein Gnadenwerk nicht stets gelungen ist:

Daß tausend Sünder noch in ihren Sünden wühlen,

Und keinen solchen Zug zu Buß und Glauben fühlen,

Der sie bezwingt, besiegt, und Herz und Willen bricht?

O nein, du ziehst sie wohl; allein sie folgen nicht.

Dein Sohn kann selber nicht Capernaum bekehren,

Durch Wunder, die doch dort so stark gewesen wären,

Als Sodoms Bosheit war. Ein Zweifel fällt mir ein;

Wie kannst du hier so reich an großen Thaten seyn,

Und warum ließ dein Arm nicht dort ein Wunder merken?

Sechs Städte würden ja mit wenig Allmachtswerken

Gewiß bekehret seyn: Du ließest keins geschehn;

Gomorrha muste nichts als lauter Rache sehn.

Warum muß Chorazim des Glaubens Gnadenlehren,

Warum Bethsaida, warum nicht Tyrus hören,

Nicht Sidon, die sich doch viel leichter bessern kann?

Den frechen Petrus blickt sein holder Meister an,

Den er so freventlich verleugnend abgeschworen;[808]

Ein Judas aber geht in seiner Schuld verlohren.

Herr! wär es dir ein Ernst uns alle zu erhöhn,

Wer könnte deiner Macht und Wirkung wiederstehn?

Wen sollte nicht dein Ruf, dein starker Ruf bezwingen,

Davon die Todten selbst aus ihren Hölen springen?


Doch halt, ich bin zu kühn! O Gott, dein weiser Schluß

Hebt meine Zweifel auf, daß ich mich schämen muß.

Mensch, soll die Allmacht denn allein die Welt regieren?

Soll lauter Gnad und Huld das ganze Ruder führen?

Du fehlst! die Weisheit herrscht, die Weisheit herrscht allein!

In ihren Schlüssen muß der Grund verborgen seyn,

Warum dieß so geschieht. Gott hat die Welt erwählet,

An deren Schönheit nichts, auch nicht das mindste fehlet,

Wo Kunst und Harmonie aus jedem Theil erhellt,

Allwo kein Sperling stirbt, kein Haar vom Haupte fällt,

Kein Glücks- kein Unglücksfall die Menschen treffen sollen,

Die Gottes Weisheit nicht zum Theil verhängen wollen,

Zum Theil erlaubet hat. Da, da flieht Paulus hin,

In diese Tiefe sinkt sein gottgelaßner Sinn.

Er weis des Höchsten Rath nicht völlig auszudenken;

Drum muß er sich ins Meer der Weisheit Gottes senken.

O Mensch, was willst denn du mit Maulwurfsaugen sehn?

Ach möchtest du den Blick auf deine Schwachheit drehn,

Und deines Schöpfers Macht, die dich so sehr erhoben,

Und alles wohlgemacht, mit reger Seele loben?


Vom Misbrauche der Zeit,
Auf eine Magisterpromotion.

1725.


Die schattenreiche Nacht, die der entschlafnen Welt,

In Träumen oftermals was Wahres vorgestellt,

Umfieng mich neulich kaum mit ihren schwarzen Banden,[809]

So war, wie mich bedünkt, ein Schreckenbild vorhanden,

Ein Bild, das meinem Geist sehr seltne Dinge wies.

Ein Wind, der mit Gewalt von Osten auf mich blies,

Der Nebel, Staub und Dampf und Wolken mit sich führte,

Und alles, was sein Hauch in freyer Luft berührte,

Mit ungehemmter Kraft zur Erden niederschlug;

Ein Wind, dem auch so gar ein strenger Adlerflug

Nicht unbezwinglich schien, erhub ein starkes Brausen.

Ich zitterte vor Angst. Der Lüfte rauhes Sausen

Durchdrang mir Ohr und Herz: Ein Schrecken nahm mich ein,

Es schien, ich sollte selbst ein Spiel der Winde seyn;

Die Füsse wankten mir, mir bebten alle Glieder,

Und der erstarrte Leib fiel endlich kraftlos nieder.


Mein Auge kehrte sich der Himmelsgegend zu,

Woher der Sonnenball, nach überstandner Ruh,

Mit neuen Stralen kömmt, den Erdkreis zu erquicken;

Und da war, unverhofft, was seltnes zu erblicken.

Ich sah und sah doch nicht; die Weite blendte mich,

Doch endlich näherte ein fernes Wesen sich.

Kein Strom kann je so schnell in engen Ufern fliessen;

Kein abgedrückter Pfeil kann so geschwinde schiessen;

Ein Wetterstral ist kaum so schleunig von Natur;

Als dieses Körpers Last auf leichten Lüften fuhr.

Es schien, er würde bald den Augen kennbar werden;

Doch eh ich ihn recht sah, so sank er schon zur Erden.


Der Boden schütterte von eines Riesen Fall,

Die stark bewegte Luft gab einen lauten Schall,

Der Greis bewegte noch sein rauschendes Gefieder,

Die Flügel schwungen sich und fielen endlich nieder.

Mit ihren Regungen war auch der Sturm gestillt,

Und ich betrachtete dieß ungewohnte Bild.

Sein finstrer Anblick war ein Zeuge vieler Jahre,

Das Haupt umgab der Schnee der langgewachsnen Haare,[810]

Der Bart, der dem Gesicht ein scheußlich Ansehn gab,

Hieng zottigt und verwirrt bis auf die Brust herab.

Der Leib war groß und stark. Man sah die steifen Sehnen,

Man sah die Nerven sich bey vollen Musculn dehnen.

Sein ausgestreckter Arm warf mit erhabner Hand,

Die Sanduhr, so er trug, in den zerstäubten Sand.

Die feste Sense schien den matten Leib zu stützen,

Sein Auge funkelte und schoß mit tausend Blitzen

Durch alle Gegenden, die man erreichen kann,

Er seufzte oftermals, und endlich fieng er an:


Verhängniß! dessen Macht und weisen Götterschluß,

Der ganze Bau der Welt in Demuth ehren muß,

Verhängniß! höre mich, wenn meine Klagen schallen,

Und laß mich, dein Geschöpf, ins alte Nichts verfallen.

Was soll das Leben mir? Mir, der ich mir zur Pein;

Dir selber zum Verdruß, noch muß vorhanden seyn.

Mein Daseyn ist umsonst, wenn Jahre, Tag und Stunden,

Die sich durch meinen Dienst bishero eingefunden,

Vergebens untergehn. Was nützt der Welt die Zeit?

Was wacht mein graues Haupt mit solcher Munterkeit?

Was soll der schnelle Flug der pfeilgeschwinden Schwingen?

Wann jeder Augenblick, den sie der Erden bringen,

Gemisbraucht werden soll. Du kennst der Jahre Zahl,

Du weist es, daß mein Arm, viel Millionen mal,

Dieß schnelle Stundenglas gehörig umgekehret,

Daß keine Creatur sich über mich beschweret.

Allein, es ist umsonst, es ist umsonst geschehn!

Ich muß ja Tag für Tag mit Gram und Eifer sehn,

Daß mein verschloßner Sand dem undankbaren Haufen

Verworfner Sterblichen zum Vorwurf ausgelaufen.

So bald Aurora sich am Horizonte zeigt,

So bald der Sonnen Rad an dieß Gewölbe steigt,

Den dunkelbraunen Dampf der trüben Nacht zu trennen,

Muß mein gereizter Zorn, muß meine Wuth entbrennen.[811]

Vor Scham erröthet selbst das frühe Morgenlicht,

Natur und Welt erwacht, allein die Menschen nicht.

Der Tag ist wie die Nacht, die sonst mit sanften Ketten

Die müden Sterblichen, in weichen Schwanenbetten,

Als angefesselt hält. Wo ist die Lagerstatt,

Die mein erwachter Bück je leer gefunden hat?

Ein fauler Schlaf verderbt den mehr als güldnen Morgen,

Ich muß nur mit Verdruß für Licht und Sonne sorgen:

Wo nicht ein matter Greis den letzten Theil der Nacht,

Mit Thränen und Gebeth und Wachen zugebracht:

So liegt die halbe Welt in ungestörtem Schlummer,

Sie schnarcht bis in den Tag, und macht sich keinen Kummer,

Und kürzt der Lebenszeit, die ihr das Schicksal gab,

Den allerbesten Theil der kurzen Dauer ab.

Der Mittag selbst wird oft am Himmel schon erblicket,

Eh das bequeme Volk aus dunkeln Kammern rücket,

Und den beliebten Schlaf, der ihnen selbst entweicht,

Mit weitgedehnter Hand aus dicken Augen streicht.

Dann mehrt sich meine Quaal! die Wollust herrscht in ihnen,

Ich muß auch Wachenden zu lauter Lastern dienen.

Die schnöde Zärtlichkeit bezaubert alle Welt,

Die Arbeit, Müh und Fleiß für schwere Martern hält.

Sie mag auch, wenn sie wacht, an kein Geschäffte denken,

Man bringt des Morgens Rest mit türkischen Getränken,

Und andern Gattungen des Zeitvertreibes hin.

Sodann begiebt sich noch des Menschen eitler Sinn

Vor ein polirtes Glas, den Leib mit hundert Stücken

Von seltnen Gattungen der Kleider auszuschmücken.

Die Tafel wird gedeckt, die Trachten warten sein,

Man schluckt drey Stunden lang die Leckerbissen ein,

Der beste Traubensaft erhitzet das Geblüte,

Und reizet mehr und mehr das lüsterne Gemüthe

Zu lauter Ueppigkeit. Die Sonnenkugel sinkt,

Indem die trunkne Schaar ein heisses Wasser trinkt,

Wenn sich die Müßigen Racketen, Charten, Massen,[812]

Und andres Kinderspiel, o Schande! reichen lassen.

Die Schatten werden lang, die Demmerung geht an,

Und wenn die Finsterniß sich kaum hervor gethan,

Versinkt das freche Volk in neuen Lasterpfützen.

O säumendes Geschick! Wirf, wirf mit deinen Blitzen

Auf mein gequältes Haupt. – – – –

Der Eifer macht mich stumm, die Worte fehlen mir,

Ich bin von Klagen matt, ich seufze nur zu dir.

Vernichte, wo du kannst, mein Wesen von der Erden;

Wo nicht? so laß die Zeit nicht mehr geschändet werden.


Hie fiel der müde Greis vor Ohnmacht in das Gras,

Er schüttelte das Haupt, ergriff sein Stundenglas,

Er hub es grimmig auf, und schwur bey allen Wettern,

An seinem Sensenschaft dasselbe zu zerschmettern.

Doch seht! das Wolkendach zerriß und trennte sich,

Ein ungewohnter Glanz erschien und schreckte mich,

Drauf schallte dieser Ruf in die bestürzten Ohren:

Schweig, Alter! deine Wuth und Klagen sind verlohren,

Verwegner! meisterst du des Schicksals weisen Schluß,

Den alles, wie du weist, was da ist, ehren muß?

Gesetzt, daß Tausende das Gold der Zeit verschwenden,

Und durch den Müßiggang den Fluß der Stunden schänden:

Genug, daß hie und da ein Kluger durch den Fleiß

Fast jeden Augenblick geschickt zu nutzen weis.

O sey nur aufmerksam, du wirst sie schon erblicken,

Und sey nicht mehr so frech, mein Schicksal zu verrücken.

Was liegst du Träger da? Verlaß den wüsten Ort,

Greif Uhr und Sensen an, und eile wieder fort.


Die Wolken schlossen sich, das helle licht verschwand,

Der Alte hub den Leib, mit unterstützter Hand,

Aus seinem Lager auf: Drauf dehnten sich die Flügel

Mit neuen Kräften aus, so, daß der nahe Hügel

Ein sausendes Geräusch zurücke schallen ließ.[813]

Ich spürte, daß der Sturm von neuem wieder blies,

Er fieng sehr plötzlich an mit ungemeinem Rasen

Und großer Heftigkeit von Osten her zu blasen.

Der Greis verließ den Platz, der Sturmwind hub ihn auf,

Man sah ihn; er verschwand, und ich erwachte drauf.


Mein Werther, zürne nicht, daß dieß geringe Blatt,

Mein neuliches Gesicht dir vorgemalet hat.

Du hörst das Bild der Zeit von seinem Misbrauch klagen,

Allein, du hörest nichts zu deinem Vorwurf sagen.

Du kannst ein Beyspiel seyn, daran ein jedermann,

Von ungemeinem Fleiß ein Muster schauen kann.

Minerva zählt dich itzt zu ihren liebsten Söhnen,

Sie läßt dein kluges Haupt mit Lorberreisern krönen,

Die du so wohl verdienst. Und da sie dieses thut,

Beweget sich in mir das treugesinnte Blut.

Mein Herze wallt für Lust bey diesen Ehrenstuffen,

Dahin dich dein Verstand und Fähigkeit geruffen.

Wie mancher wundert sich, daß dieß so bald geschehn?

Allein, wer dich nur kennt, wird sonder Zweifel sehn,

Die Lehrerwürde sey, sowohl für deine Jugend,

Als manchem Alten sonst, ein Lohn bekannter Tugend.

Man weis, wie wohl du stets die edle Zeit verwandt,

Wie du bey Tag und Nacht nach Weisheit und Verstand,

Und Wissenschaft gestrebt; ja wie so wenig Stunden

Dir in Ergetzungen und Zärtlichkeit verschwunden.

Die Ehre war dein Sporn, der nie die Kraft verlohr,

Es kam dir stets das Bild des großen Vaters vor,

Das deiner Triebe Macht mit neuer Reizung rührte,

Und dich nach Adlerart zur Tugendsonne führte.

Du folgest, wenn er winkt, mit muntern Schritten nach.

Denn was ein alter Held von Ehrenseulen sprach:

Sie schienen, ihm des Nachts den besten Schlaf zu stören:

Das hab ich dich sehr oft vom Vater sagen hören.

Dieß ist die schöne Bahn, die dich, Geliebter! trägt,[814]

Darauf du schon vorlängst die Proben abgelegt,

Die dir bey aller Welt, in öffentlichen Schriften,

Doch ohne Pralerey, ein stetes Denkmaal stiften.

Jedoch, du fährest fort. Ganz Leipzig merkt es schon,

Dein theurer Vater sieht sein Bild in seinem Sohn,

Er siehts und freuet sich, und wird in kurzen Jahren,

Noch mehr Vergnügungen von deinem Fleiß erfahren.

Ach werthgeschätzter Freund! wie freudig will ich seyn,

Trifft nur mein treuer Wunsch von deiner Wohlfahrt ein:

Und kann ich nur die Pracht von deinen Ehrenzweigen,

Einst in der Nähe sehn, und meine Lust bezeigen.[815]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 792-816.
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